Begleittext anlässlich der Ausstellung im Braunschweiger Landesmuseum | ||||
Jahrzehnte träumte das Grenzland vor sich hin,
hier stießen West-Welt und Ost-Welt aneinander.
Dörfer und Landschaften in verlangsamter Zeit,
und eine eigenartige Melancholie durchzog den Landstrich. | ||||
Grenztürme - einstmals in einer über 1000 km langen, undurchdringlichen Kette
entlang der deutsch - deutschen Grenze waren der sichtbare Ausdruck eines hermetisch abgeriegelten
Staates, Zeugen einer uns martialisch anmutenden Mächtigkeit, unheimlich, furchteinflößend. | ||||
Wer Bilder vergangener Lebenswelt der eingeschnürten DDR-Gesellschaft, Zeugen diktatorischer Macht,
Symbole einer versteinerten Ideologie oder die Überbleibsel militärischer Maschinerie vor dem Vergessen
bewahren möchte, muss sich beeilen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Ommo Wille hat sich gleich
nach der Wende auf diesen Wettlauf eingelassen, um mit wachem Auge und einer eigenwilligen Kamera,
die dem menschlichen Blickfeld nachempfunden ist und Fotos mit einem Winkel von fast 180 Grad erlaubt,
Spuren zu sichern, ein Stück deutscher Geschichte festzuhalten, das in rasender Fahrt aus der bildhaften
Erinnerung zu entfliehen droht. | ||||
Alles ist uns noch so gegenwärtig und doch schon so weit weg. Die "Nachwende-Zeit"
entfaltet ihren eigenen Charakter, eine eigentümliche Atmosphäre, in der das Alte noch nachwirkt,
oft nur noch als stummer Zeuge herumsteht, überflüssig, zur Verrottung oder zum Abräumen
für das Neue preisgegeben. | ||||
Die Insignien der neuen Mächtigkeit sind lockende Werberufe des Konsums, sind "die
Freiheit des Genießens","Go West", Coca-Cola" und westliche Brauereien, die
generalstabsmäßig die unscheinbarsten Dorfkneipen bis zur Oder mit West-Bier
versorgen und ihre Leuchtreklamen vor die häufig noch bröckeligen Fassaden setzen,
als würden sie sagen wollen: hier beginnt die neue Zeit. | ||||
Jetzt liegt diese Grenzstation, die uns so in Angst zu versetzen vermochte, ganz einsam und verlassen in der Landschaft. Das buchstäbliche Gras wächst darüber. In einigen Gebäuden hat sich Wut in exstatischer Zerstörung entladen. In Dreilinden bei Berlin sind fast schon bizarre ästhetische Räume entstanden, - kleine späte Triumpfe über diese Symbolräume einer auf Ordnungsrituale eingeschworenen Staatsmacht. Graffiti-Gesichter heute auf dem Grenzgebäude der DDR-Staatsbank grinsen wie zum nachträglichen Hohn auf diesen Ort strengster Ordnung, eiserner Vorschriften und deutscher Perfektion. Die eigenartige Melancholie der Bilder ist eine der Erinnerungen der historischen Zeit, keine der Wehmut oder der Sehnsucht zurück. Sie verweist zugleich auch auf den historischen Schnitt, der nur noch ein Nachvornegehen zulässt, ohne sich von der Erinnerung abzukoppeln. | ||||
Ein ehemaliger riesiger Gutshof in Harbke, hart an der ehemaligen Grenze, nur wenige Kilometer vor Helmstedt,
seit DDR-Zeiten eine LPG. Ein riesiger Gebäudekomplex, der sich als Oval um einen großen Innenhof schmiegt.
Außen fließt ein idyllischer Burggraben, auf dem Enten dümpeln. Wer neugierig einen Blick in das Hofinnere wagt,
blickt gebannt auf ein trostloses Ensemble. Jahrhunderte alte Gebäude, die Geschichte ausstrahlen, entbieten
einen Anblick wie nach Kriegszerstörung. Eingefallene Dächer, zusammengefallene Wände, eingestürzte Decken.
Die Fäulnis frisst sich allmählich bis zum letzten intakten Gebäudeteil durch, in den die LPG-Bauern sich offenbar
mit ihrem Versammlungsraum geflüchtet haben. Zur rechten einige neue Gebäude, die der LPG zum Wirtschaften
dienen. Zeitweilig seien auch Schweine im großen Gutssaal gehalten worden, meint einer der LPG-Bauern.
Fassungslos fragt sich der Besucher, wie ein solcher Umgang mit historischen Gebäuden durch die Jahre zu
ertragen war. Einfache Antworten hört man. Dachrinnen habe es lange keine gegeben, da sei das Wasser dann
ins Gebäude gedrungen und nach und nach seien Dach und Decken eingefallen. Eckhart Bauer | ||||
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